Der rote Rudi
Wohlig streckte sich der rote Kater in seiner ganzen Länge aus. Es war
Ewigkeiten her seit er das letzte Mal so warm und weich gelegen hatte.
Er schloss seine grünen Katzenaugen und schlief weiter...
Im Traum war er wieder jung und glatt und er sah seine Menschen von
damals, die er so sehr geliebt hatte. Er war ein Freigänger gewesen und
kannte sich in der Umgebung der heimischen Behausung gut aus. So
hatte er auch an jenem denkwürdigen und verhängnisvollen Tag einen
etwas weiteren Ausflug gemacht und war erst am Abend nach Hause
getrottet, denn es war Sommer, und er hatte keine Eile. Vor seiner
Haustür setzte er sich hin in der Erwartung, dass seine Leute diese
alsbald für ihn öffnen würden. Es verging wohl eine Stunde, er kannte
die Uhr der Menschen zwar nicht, aber er hatte seine eigene im Kopf,
und die ging immer richtig. Es verging eine weitere und noch eine und
noch eine...es kam die Nacht und er saß immer noch draußen. Niemand
öffnete ihm und rief ihn herein und kein gefüllter Napf lud zum Essen
ein. Er wurde hungrig. Und er vermisste seine Leute. Er war allein.
Auch die nächsten Tage und Nächte vergingen ohne dass jemand nach
ihm rief. Langsam nahm er die traurige Gewissheit in sich auf, dass sie
ihn verlassen hatten und ohne ihn weg gezogen waren.
Als der Hunger übermächtig wurde, überwand er sich und wanderte los,
um Futter zu suchen und auch menschliche Gesellschaft, denn er
mochte sehr gern gestreichelt und gebürstet werden. Ihm fehlten die
Liebe und Geborgenheit, die er bislang bekommen hatte.
Nach langer Wanderung kam er an eine Stelle, an der sich viele Katzen
aufhielten. Sie lebten alle draußen und schliefen in gepolsterten Höhlen,
die sie vor dem Wetter schützten. Jeden Tag kam eine Menschenfrau
und brachte ihnen Futter. Sie kam am Morgen und gegen Abend noch
einmal und sie gab allen Katzen genug, so dass keine hungrig schlafen
gehen musste. Der rote Kater hatte Glück, denn die Katzen waren
freundlich zu ihm und ließen ihn von ihren Tellerchen essen und die
Menschenfrau schien sich zu freuen und streichelte sein verfilztes Fell
und sprach in beruhigendem Tonfall auf ihn ein.
So kam der Rote an eine Futterstelle und hatte seitdem sein
Auskommen. Einmal lud ihn die Frau in eine Box und brachte ihn zu
einem Tierarzt, und als er wieder erwachte, schien ihm irgend etwas zu
fehlen, was ihn dann aber nicht weiter störte.
Es vergingen einige Sommer und einige Winter, und er wurde krank.
Sein Fell fiel aus und er hatte starken Schnupfen. Da erschienen zwei
fremde Frauen und lockten ihn wieder in eine Box. Den Tierarzt kannte
er schon, und auf dem etwas unangenehmen Behandlungstisch
schnurrte er vor Behagen, weil sich die Menschen intensiv mit ihm
beschäftigten.
Diesmal kam er nicht wieder an die Futterstelle zurück sondern in einen
Raum, der ihn an die Zimmer, die er von früher kannte, erinnerte.
Hier sollte er gesund werden. Er bekam Medikamente und durfte bald
in die Gesellschaft anderer Katzen umziehen. Doch wieder dauerte es
nicht lange und erneut begann eine Reise in der Transportbox, eine
lange Reise diesmal. Er fuhr nicht ungern in einem Auto, aber
anstrengend war es für ihn schon. Diesmal fand er sich in ganz anderen
Räumen wieder. Alles war schön und gemütlich und es war viel Platz
zum Toben und zum Ausruhen da und er hatte sogar ein offenes Zimmer,
von dem aus er in den Garten sehen konnte und richtig in der Sonne
liegen, das fand er wundervoll. Allerdings war er nicht alleine dort, es
lebten außer ihm noch ein stattlicher Kater und eine sympathische
Katze dort, mit denen er sich arrangieren sollte. E r wollte es schon,
kein Problem. Die Katze fand ihn auch sehr nett und hatte nichts gegen
ihn einzuwenden, nur der große Kater schimpfte ihn immer einen
Eindringling und fauchte furchteinflößend.
Die Menschen, die dort für Essen und alles andere sorgten, wollten
gern, dass sich der große mit ihm vertragen sollte und warteten immer
noch einen Tag länger, ob es nicht doch ginge. Rudi, von Natur aus ein
friedfertiger Zeitgenosse, gelang es schließlich, mit dem Großen einen
Burgfrieden auszuhandeln. Das war für ihn wie ein Fünfer im Lotto,
denn von nun an durfte er hier in seinem Katzenhimmel auf Erden
wohnen bleiben, sich verwöhnen und bewundern lassen und musste nie
wieder Angst haben, auf die Straße gesetzt zu werden.
Rudi hatte es geschafft. Er war angekommen.
Die Regenbogenbrücke
Testament einer Katze